Positionspapier #4

Bürokratieabbau unterstützt Unternehmens­erfolge

Oktober 2023

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Bürokratieabbau unterstützt Unternehmens­erfolge

Verständnis und Wertschätzung als Basis der Kooperation von Behörden und Industrieunternehmen. Behördliche Prozesse als Wettbewerbsfaktor. Effizienz und Autonomie durch Digitalisierung.

Bürokratie als geordnetes System von Regeln ist ein wesentliches Merkmal und eine Voraussetzung für das Funktionieren von komplexen, hoch arbeitsteiligen und differenzierten Gesellschaften. Sie garantiert Individuen und Organisationen zahlreiche Vorteile. Dazu gehören vor allem personenunabhängige Objektivität, Gleichbehandlung, Berechen- und Planbarkeit sowie Zuverlässigkeit. Als Vertretung wichtiger industrieller Wirtschaftsunternehmen anerkennt der Industriebeirat ausdrücklich die wirtschafts- und gesellschaftsförderliche Funktion der Bürokratie.

Bürokratie hat ihre Kosten für Unternehmen: Vor allem durch die Bindung personeller Ressourcen zur Erfüllung regulatorischer Forderungen auf EU-, Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene als auch durch die eventuelle Verzögerung betrieblicher Prozesse. Dazu kommen direkte Kosten durch Gebühren. Eine aktuelle quantitative Abschätzung dieser Kosten bezogen auf Regelungen der Bundesebene bietet die Studie „Bürokratiekosten von Unternehmen aus dem Maschinen- und Anlagenbau“, die im Auftrag des VDMA erstellt wurde.1 Diese Studie kommt zum Schluss, dass allein die vom Bund ausgelösten Bürokratiekosten ähnlich hoch wie die jährlichen Forschungs- und Entwicklungsausgaben eines Mittelständlers im Maschinen- und Anlagenbau sind. Dabei ist, bedingt durch Skaleneffekte, die bürokratische Belastung bei kleineren und mittleren Unternehmen überproportional hoch. Diese Ergebnisse stellen in ihrer Größenordnung ein repräsentatives Bild auch für die Wiesbadener Industriebetriebe dar.

Der Anteil der kommunalen bürokratischen Pflichten ist im Vergleich zur Bundesebene deutlich geringer. Dessen ungeachtet appelliert der Industriebeirat auch an die Wiesbadener Verwaltung, Unternehmen bei der Bewältigung aller regulatorischen Auflagen bestmöglich zu unterstützen. Dies kann auf unterschiedliche Weise und auf unterschiedlichen Ebenen erfolgen:

  • Durch politische Arbeit des Magistrats in Richtung Land und Bund mit dem Ziel des Abbaus regulatorischer Lasten und der Vereinfachung von Prozessen und Dokumentationspflichten,
  • Durch die partnerschaftliche Förderung einer Kultur des Verständnisses und der Wertschätzung unternehmerischer Tätigkeit in den Ämtern und Organen der Landeshauptstadt.
  • Durch die kontinuierliche Optimierung behördlicher Prozesse und Verfahren insbesondere durch weitere Digitalisierung.

Gemeinsam zu einer wettbewerbsförderlichen Bürokratie

Der Industriebeirat bietet sich der Stadt als Partner bei der Förderung einer behördlichen Kultur an, die von einem Verständnis der Wertschöpfungsprozesse in Industrieunternehmen und einer Wertschätzung des Beitrags dieser Unternehmen zum Wohlstand und der gesellschaftlichen Entwicklung unserer Stadt begleitet wird.

Ziel ist es, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass die Qualität der Abwicklung von behördlichen Vorgängen – von der Bearbeitung eines Bauantrags über das Meldewesen bis zu Auflagen des Umweltamtes – zu wettbewerbsentscheidenden Rahmenbedingungen der unternehmerischen Tätigkeit gehört. Die Beschleunigung von Antrags- und Bearbeitungsprozessen, die Reduzierung von Abstimmungsschleifen, die verständliche Gestaltung von Zuständigkeiten und Kontaktschnittstellen – all dies hat unmittelbaren Einfluss auf die Kosten und die Dynamik der betrieblichen Wertschöpfung. Insbesondere in Wachstumsphasen kann die behördliche Effizienz hierbei zu einem strategisch wichtigen Faktor werden. Die Wiesbadener Industrieunternehmen stehen hier im Wettbewerb mit nationalen und internationalen Standorten mit zum Teil geringerer Bürokratiebelastung. Diese Herausforderung gilt es, durch eine möglichst effektive Umsetzung der bestehenden Regularien zu kompensieren.

Diese wettbewerbsorientierte Bürokratiegestaltung sollte getragen werden vom Wissen um den erheblichen Beitrag, den die Wiesbadener Industrie für unsere Stadtentwicklung leistet: Erstens finanziell in Form der Gewerbesteuer sowie der Lohnsteuer der in den Betrieben beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Zweitens in Form einer kulturellen Bereicherung der Stadt. Diese findet unter anderem durch die Verantwortung Wiesbadener Industriebetriebe für ihre vielfältigen, oft stark internationalen Belegschaften statt. Sie bildet dabei eine wertvolle Ergänzung der traditionellen städtischen Werte als Kurstadt.

Die Erfahrungen der Mitglieder des Wiesbadener Industriebeirats sprechen dafür, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Wiesbadener Behörden im individuellen Kontakt und Informationsaustausch bereit sind, pragmatische Umsetzungslösungen für schwierige oder besonders dringliche Prozesse zu entwickeln. Diese Pragmatik der Umsetzung gilt es, soweit wie möglich zu institutionalisieren. Der Industriebeirat steht über seine Mitglieder in jeglicher Form als Ansprechpartner und für einen Erfahrungsaustausch mit den politischen und administrativen Verantwortlichen der Stadt im Sinne der Förderung der skizzierten kooperativen und wettbewerbsfreundlichen Bürokratiekultur zur Verfügung.

Effizienz, Geschwindigkeit und Autonomie durch Digitalisierung

Ein wesentlicher Hebel zur Stärkung einer solchen wettbewerbsfreundlichen Bürokratie bietet die Digitalisierung behördlicher Vorgänge.

Mit dem Ausbau elektronischer Abwicklungsverfahren, elektronischer Kommunikation und Datenübermittlung kann die Stadt eine deutliche Erleichterung bei der Erfüllung bürokratischer Pflichten bieten und den Unternehmen ein enormes zeitliches und finanzielles Einsparungspotenzial erschließen. Grundsätzlich birgt dabei die Beschleunigung der behördlichen Vorgänge den größten Nutzen für die Unternehmen.

Der Digitalisierungsprozess sollte dabei folgende wesentlichen Kriterien erfüllen:

  • Durchgängige Reduzierung gedruckter Dokumente
    Insbesondere in der Zuständigkeit der Bauaufsicht entsteht erheblicher zeitlicher und materieller Aufwand durch die Forderung von gedruckten Unterlagen. Baupläne, die ohnehin in elektronischer Form vorliegen, müssen als solche eingereicht werden können. So kann ein in jeder Hinsicht ressourcenschonendes Verfahren gewährleistet werden.
  • Effizientes Datenmanagement Bei allen Meldungen sollten elektronische Verfahren angeboten und vorhandene Daten stärker genutzt werden. Die elektronischen Meldeverfahren sollen automatisiert, wiederkehrende Daten grundsätzlich nicht mehrfach abgefragt werden. Der elektronische Zugang zu allen kommunalen Behörden sollte über eine einmalige Registrierung möglich sein.
  • Akzeptanz digitaler Unterschrift Bei Melde- und Abfrageprozessen, bei denen bereits ein digitales Antragsverfahren angelegt ist, wird dieses oftmals durch die Notwendigkeit einer handschriftlichen Autorisierung unterbrochen. Die durchgängige Akzeptanz digitaler Unterschriften bei diesen Prozessen verspricht eine erhebliche Prozessverbesserung.
  • Einrichtung autonomer Abrufprozesse Insbesondere beim Abruf von Registereinträgen und amtlichen Meldung sollten Verfahren entwickelt werden, die nach zuverlässiger Autorisierung den selbstständigen und sofortigen Abruf von Dokumenten ermöglichen. Diese autonomen Abrufprozesse würden die zeitliche Planbarkeit von unternehmerischen Vorgängen deutlich verbessern. Die aufwändige, wiederholte Wiederaufnahme von Antragsprozessen würde vermieden.
  • Kontinuierliche Statusinformation Über digital zugängliche Informationssysteme sollten jederzeit der Status und die zu erwartende Bearbeitungszeit laufender Prozesse abrufbar sein. Diese vereinfacht die Planung solcher betrieblichen Prozesse, deren Fortschritt von behördlichen Genehmigungen abhängig sind.
  • Transparenz und Übersicht Ein übergreifendes, nutzerorientiertes digitales Info- und Serviceportal der kommunalen Ämter sollte die Orientierung bei der Abwicklung von Behördenprozessen durch klare Information und eine stringente Führung durch den Antragsdialog erleichtern.

Die Mitglieder des Industriebeirats sind überzeugt, dass alle hier skizzierten Ansätze der Prozessverbesserung beiden Seiten, das heißt sowohl den antragstellenden Unternehmen als auch den ausführenden Behörden zugutekommt. Ziel ist die Stärkung einer partnerschaftlichen Bürokratiekultur zwischen Behörden und Unternehmen.

1 Bürokratiekosten von Unternehmen aus dem Maschinen- und Anlagenbau. Eine Studie für die IMPULS-Stiftung durchgeführt und herausgegeben vom Institut für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn, Annette Icks, Rebecca Weicht, 2022.